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Russland – einige Gedanken zum Abschluss

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Diese Sprichwort kennen wir wahrscheinlich alle. In meinem Fall war nicht nur die Reise an sich interessant, sondern auch die Reaktionen derer denen ich davon erzählt habe.

Vor Beginn der Reise hörte ich da die ganze Bandbreite von Kommentaren, die man sich vorstellen kann. Das fing an mit: “Was du reist in ein Kriegsgebiet?” bis “Ich würde gern mitfahren.” Erstaunlicherweise habe ich viele getroffen, die schon einmal in Russland waren und bei vielen hätte ich das nie vermutet. Ausnahmslos alle von denen haben mir gesagt das ist wunderschön, sie haben geschwärmt von ihren Reisen. Mir kam das irgendwie unheimlich vor.

Als ich zurück war, wollten dann viele wissen wie es war und da gab es ein paar Fragen die mir immer wieder gestellt wurden. Einige wenige möchte ich hier für alle beantworten. Zum Beispiel:
“Hast du Armut gesehen?” Ja, das habe ich. In Moskau waren in einer Unterführung zwei Obdachlose und einmal wurden wir angebettelt. Ich war ja nun in einigen europäischen Städten und meiner Meinung nach war das im Durchschnitt nicht mehr wie anderswo.
Nach dieser Antwort war die nächste Frage immer: “Du warst ja nur in der Stadt, auf dem Land ist es sicher anders?” Schon bei der Planung unserer Reise, wollten wir ganz bewußt auch das Russland abseits der großen Städte kennenlernen. Nun, waren wir nicht in jedem Dorf , aber ganz sicher auf dem Land. Die kleineren Orte in Russland sehen nicht aus wie Schweizer Dörfer, aber richtige Armut ist mir dort nicht begegnet.
Sehr beliebt war auch: “Was für Autos fahren die Russen?” Es gibt alles, angefangen bei der alten Klapperkiste bis zur Luxuslimousine. In der überwiegenden Mehrzahl fahren sie aber solche Autos, wie wir auch.
Zu meinen absoluten ‘Lieblingsfragen’ zählt noch: “Hast du Putin gesehen?” und man soll es nicht glauben, das lässt sich noch steigern: “Warum hast du ihn nicht besucht?”. Bei solchen Fragen frage ich mich, warum man die stellt.

Vieles von dem was ich erlebt habe, hatte in meiner kleinen Artikelserie keinen Platz, aber manches davon ist es Wert auch noch erwähnt zu werden:

  • Zum Beispiel die jungen Männer in der Moskauer Metro, die meistens warten bis der Zug abfährt, ob sich eine Frau oder eine ältere oder jüngere Person setzen möchte bevor sie sich setzen, wenn sie sich überhaupt setzen.
  • Die vielen Fahrgäste die in der Metro Bücher lesen sei es nun auf E-Book Readern, Smartphones oder als richtiges Buch.
  • Die Schlangen vor vielen Museen und überhaupt die Begeisterung für Kultur.
  • Die Disziplin, die vor allem in den Städten auffällt. Auf den Fußwegen zum Beispiel sind Pfeile auf welcher Seite man Laufen soll, damit sich niemand gegenseitig behindert. Das macht da auch Sinn, die Städte sind voll von Menschen und fast jeder hält sich dran.
  • Die Ruhe obwohl die Russen viele Kinder haben. Es ist es überall ruhig. In der Eremitage zum Beispiel waren vielen Schulklassen auch mit kleinen Kindern und trotzdem konnte man sich alles in Ruhe ansehen.
  • Die Sicherheitskontrollen – die sind in den grossen Städten allgegenwärtig. Selbst ins Bolschoi-Theater kommt man nur durch eine Sicherheitsschleuse und nach einer Taschenkontrolle. In Russland habe ich gelernt, wie man Handtaschen aufräumt. 🙂
  • Die Stille die dieses Land ausstrahlt.
  • Die Schokolade, in Russland kann man Pralinen mit unterschiedlichsten Füllungen einzeln kaufen. Sie liegen abgepackt in Kartons und wir haben uns durchprobiert. Als wir das zweite Mal kamen war die Verkäuferin schon vorbereitet und gab uns einen ganzen Stapel Tüten zum einpacken.

Ich bin mit der Erwartung nach Russland gefahren, dass manches nach der Landung des Flugzeuges völlig anders ist, wie bei uns. Kurz vor der Abreise haben wir noch darüber diskutiert, dass es möglich ist das es uns nicht gefällt. Ich weiß nicht, ob ich es gedacht habe, aber ich habe irgendwie erwartet, das die Züge unpünktlich sein können, dass man auf Taxis warten muss, dass manchmal das Essen gewöhnungsbedürftig ist, dass es nicht so sauber ist wie bei uns  und das die Russen generell zwar gastfreundlich aber eben auch unfreundlicher sind als wir in Mitteleuropa. Vermutlich würde es fast jeder so beschreiben. Wir alle und da schließe ich mich ein sind bzw. waren uns ziemlich sicher, das ist eben “typisch russisch”. Dann kommt man zurück und stellt fest nichts von dem ist wahr. Wir saßen im Zug, der uns vom Flughafen in Zürich nach Hause bringen sollte und kamen uns vor wie im falschen Film. Ich weiß nicht genau, wie man das Gefühl beschreiben soll, dass wir empfunden haben, sprachlos vielleicht. Dieses Gefühl hat uns noch ein paar Wochen begleitet.

Russland ist immer anders, wie man es erwartet und zumindest da wo wir waren ist es auch viel europäischer als man denkt. Am Anfang meiner kleiner Serie habe ich geschrieben: “Man sollte immer erst ein Land besuchen, bevor man sich eine Meinung bildet.”, heute muss ich dem ein “auch unbewußt” hinzufügen. “Man sollte immer erst ein Land besuchen, bevor man sich auch unbewußt eine Meinung bildet.” Wie man unbewußt Dinge erwartet, obwohl man sich für ziemlich vorurteilsfrei hält, ich glaube das erlebt man erst, wenn man einmal damit konfrontiert wird.

Nun hoffe ich, dass ich irgendwann wieder einmal nach Russland fahren kann. Ich träume  noch von einer Wanderung in Sibirien, aber egal ob das möglich ist oder nicht Russland und den Russen ist ein Platz in meinem Herzen sicher.

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2 Gedanken zu „Russland – einige Gedanken zum Abschluss

  1. Schön geschrieben! Du hast völlig Recht. Man muss bereit sein, sich ein Bild vor Ort zu bilden. Wie es sich liest, habt ihr genau hingeschaut und Euch selbst revidiert. Sowas finde ich immer besonders spannend.

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