Ihr kennt sicher die typischen russischen reich verzierten Holzlöffel. Einer davon liegt bei uns zu Hause. Vor vielen Jahren brachte ihn eine Kollegin meiner Eltern mit, die an der Baikal-Amur-Magistrale (BAM) mitgearbeitet hatte. Diese wunderschön bemalten Kunstwerke sind Teil einer langen Tradition der Geschirrherstellung in Russland.
Chochloma-Malerei
Die Chochloma-Malerei enstand in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Nischni Nowgorod und hat ihre Wurzeln in der alltäglichen Herstellung von Holzgeschirr. Die Bauern schnitzten ihre Löffel und Schalen selbst. Damit die Löffel und Schalen stabiler wurden, trugen sie später eine Tongrundierung auf. Natürlich wollten sie ihre Schalen auch verschönern, deshalb begann man sie zu bemalen. Was als Herstellung von eigenem Geschirr anfing, entwickelte sich zu einem Nebenerwerb. Die Bauern stellten in den Wintermonaten Geschirr her und verkauften dieses auf dem Markt in Chochloma. Das war ein großer Handelsort, in dem jeden Donnerstag ein damals sehr bekannter Markt stattfand. Bauern und Handwerker aus über 40 Dörfern in der Umgebung verkauften dort ihre Produkte. Der Handelsort gab dem Geschirr seinen Namen.
Bis heute hat sich der Herstellungsprozess kaum verändert. Die aus Linden-, Espen- oder Birkenholz gedrechselten Geschirrteile werden zuerst mit einer Tonlösung grundiert und anschließend mit Leinöl und Zinnpulver behandelt. Anschließend wird das Muster mit der Hand aufgetragen. Die goldene Farbe entsteht erst nach dem Härten im Ofen aus dem Zinnpulver. Echtes Gold wird dabei nicht verwendet. Traditionelle Motive der Chochloma-Malerei sind Beeren, wie Vogelbeeren und Erdbeeren, Blumen und Zweige, sowie Vögel und Fische.
Obwohl das Geschirr ein hübsches Souvenir ist, müssen wir es nicht in die Vitrine stellen; es ist ein Gebrauchsgegenstand. Man kann daraus eine heiße Suppe essen ohne, dass das Muster beschädigt wird. Nur in die Mikrowelle sollte man es nicht stellen, da der Metallanteil in der Farbe Probleme verursachen kann.
Nachdem das Kunsthandwerk fast ausgestorben war, wurde es in den 1920er-Jahren in der Sowjetunion mit staatlicher Hilfe wiederbelebt. Heute werden nicht nur die bekannten Schälchen und Löffel hergestellt. Es gibt auch Möbel, Gemälde, Holzkistchen, Vasen und vieles mehr.
„Набор для салата“ unter dieser Bezeichung wurde diese Salatschüssel mit Löffel verkauft.
Keramik aus Gschel
Gschel ist eine Region etwa 60 km von Moskau entfernt. Sie umfasst etwa 30 Dörfer und ist seit über 700 Jahren für ihre großen Tonvorkommen bekannt. Die Gscheler stellten zuerst einfache Geschirr- und Haushaltsgegenstände, wie Pfeifen, Töpfe und Spielzeug her. In der Basiliuskathedrale in Gschel kann man eine Stimmkasten aus Gschel-Ton von ca. 1550 besichtigen. Diese diente zur Verbesserung der Akustik in Kirchen.
Die Gschel-Keramik war am Anfang weder blau noch aus Porzellan. Es waren einfache, poröse Tongefäße. Die Töpfer tauchten sie glühend in eine flüssige Lösung, um sie wasserundurchlässig zu machen. Die Bewohner von Gschel entwickelten die Gefäße ständig weiter. Im 18. Jahrhundert erreichte Gschel die europäische Majolika – eine ebenfalls poröse Keramik, die vollständig mit Glasur überzogen war. Die Herstellung war teuer und kompliziert, deshalb suchten sie nach Methoden, um die Produktion zu vereinfachen und zu verbessern. Es entstand die fünffarbige, mit Ornamenten versehene Gschel-Majolika. Im Jahr 1745 entwickelte der Chemiker Dimitri Winogradow das erste russische Porzellan aus Gscheler Ton.
Daneben entwickelten die Gscheler ihre Produkte noch in andere Richtungen. Sie suchten nach Rezepten, um die in Russland beliebte ausländische Keramik nachzuahmen, da die Hersteller von Porzellan in China und Deutschland ihre Rezepturen streng geheim hielten. Es entstanden unter anderem Halbfayence und Steingut.
Da sich der Herstellungsprozess der Keramik änderte, wurde das bunte Geschirr im 18. Jahrhundert blau-weiß. Die blaue Farbe widerstand den höheren Temperaturen beim Brennen problemlos, während Braun, Grün und Orange verblassten. Das Blau des Musters entsteht durch die Bemalung mit schwarzem Kobalt. Danach wird das Geschirr mit Glasur überzogen und anschließend gebrannt.
Das wichtigste und beliebteste Motiv der Gschel-Keramik ist bis heute die geschlossene Rose, diese wird mit drei bis vier Strichen vom Künstler gemalt. Charakteristisch sind auch geometrische Muster, schlichte Verzierungen, Vogelmotive sowie Darstellungen von Alltagsszenen und Landschaften.
Bis 1830 waren im Gebiet Gschel Dutzende kleinerer Unternehmen tätig. Sie produzierten neben Geschirr auch Spielzeug, Keramikfliesen, Ofenkacheln, Kleinplastiken und mehr. Es war die Blütezeit der Gschel-Keramik, in der ebenfalls zwei große Ikonostasen entstanden. Eine davon steht in der Kirche Maria Himmelfahrt in Gschel.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann die Nachfrage zu sinken. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurden die Betriebe verstaatlicht, viele stellten ihre Produktion ein, andere produzierten technisches Porzellan für die Elektroindustrie. Die Kunst des Gschel-Handwerks verschwand fast völlig, nur noch wenige Handwerker führten es aus. Mitte des 20 Jahrhunderts begann die Wiederbelebung des Kunsthandwerks. 1960 erlangte die Gschel-Keramik internationale Anerkennung durch Ausstellungen und Auszeichnungen.
Heute ist Gschel ein bedeutendes Zentrum russischen Kunsthandwerks mit mehreren großen Unternehmen und private Handwerkern, die diese Tradition weiterführen.
Очень интересно! Я люблю русское народное искусство. Оно такое жизнерадостное!